Mehr Transparenz, mehr Vernetzung, mehr Verantwortung. Wie die Digitalisierung unser Gesundheitswesen effizienter macht,
die Behandlung verbessert und die Rolle der Patienten stärkt. Herzstück: der Start der elektronischen Patientenakte ab 2021.
Migränepatienten führen
Tagebuch, Diabetiker erfassen ihre Blutzuckerwerte per digitalem Messgerät,
Apps motivieren und tracken die tägliche Bewegung und erinnern an die nächste
Vorsorgeuntersuchung. Gesundheits-Apps sind auf dem Vormarsch. Mit den neuen
technischen Möglichkeiten einher geht der Trend des Digital Patient Empowerment
(DPE). Die Idee dahinter: Jeder ist sein eigener Gesundheitsmanager. Er trägt
aktiv dazu bei, die bestmögliche Behandlung zu erhalten, seinen
Gesundheitszustand zu überwachen und sein Wohlbefinden zu verbessern. Damit gibt
DPE ein verlockendes Heilsversprechen. Auch für unser Gesundheitssystem, auf
das sich immer teurere Medikamente und Behandlungsverfahren in zunehmendendem
Ausmaß niederschlagen. McKinsey
beziffert in einer Studie für das Jahr 2018 ein Einsparpotenzial von 34 Milliarden
Euro durch die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens, davon 9 Milliarden
Euro aufgrund des papierlosen Austauschs über die Telematikinfrastruktur und
die elektronische Patientenakte (ePA), weitere 3,8 Milliarden Euro durch
Anwendungen zur Selbstbehandlung von Patienten, also digitale Diagnosetools
oder Diabetestagebücher. Das Potenzial ist also enorm, wenn es gelingt, den
Patienten umfassend zu informieren und zu aktivieren sowie seine Daten
transparent und nachweislich sicher zu verwahren.
Der Mensch als Gesundheitsmanager
Die Idee hinter DPE: den Patienten aktiv in den Behandlungsprozess einbinden und ihn zur Zusammenarbeit bewegen.
Die behandelnden Ärzte informieren verständlich und umfassend über die Diagnose und Behandlungsmöglichkeiten, eventuell auch zu den anfallenden Kosten.
Sie ermutigen ihre Patienten, sich zusätzliche Informationsquellen zu suchen und den Krankheitsverlauf selbst zu dokumentieren.
Der Mensch soll zum Manager seiner Gesundheit werden. Unbedingte Voraussetzung dafür: Er muss grundsätzlich willens und in der Lage sein,
diese aktive Rolle zu übernehmen. Also seinen Gesundheitszustand und die Therapie so weit zu verstehen, dass er aktiv partizipieren kann.
Herzstück elektronische Patientenakte
Herzstück dieser Idee:
Die elektronische
Patientenakte (ePA), welche die Krankenkassen in Deutschland 2021 einführen
werden. Sie wird die medizinische Behandlungshistorie eines Patienten lückenlos
dokumentieren: von Laborwerten und Arztbriefen über Rezepte, Röntgenbilder und
CT-Aufnahmen bis hin zu persönlichen Notizen von Patient und Arzt. Der Patient
greift einfach per Smartphone oder Tablet auf seine ePA zu, Arzt und Apotheker
über ihren PC am Arbeitsplatz. Die Vorteile: Das vermeidet doppelte
Behandlungen, Untersuchungen und Tests, zugleich werden unerwünschte
Wechselwirkungen von Medikamenten rechtzeitig erkannt. Mit der Telematikinfrastruktur
der gematik, der Gesellschaft für
Telematikanwendungen der Gesundheitskarte, entsteht gerade die technische
Infrastruktur, die alle Akteure des Gesundheitswesens miteinander verbindet.
Über dieses geschlossene Netz, zu dem nur registrierte Nutzer – Patienten,
Ärzte, Apotheker oder Therapeuten mit einem elektronischen Heilberufs- und
Praxisausweis – Zugang haben, tauschen sie Patientendaten aus.
Was noch fehlt? Die sichere Vernetzung!
Eine Entwicklung, die
zum Greifen nahe ist, denn 69 Prozent der Patientendaten in Deutschland liegen
laut McKinseys
Annual European eHealth Report von 2019 bereits in digitaler Form vor.
Schließlich haben in vielen Praxen, Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen
Computer und digitale Daten schon vor Jahren Papierakten abgelöst.
Röntgenbilder und CT-Aufnahmen speichern die Geräte direkt in der Patientenakte
auf dem Praxisserver. Kommen Laborergebnisse doch noch in Papierform, sind die
Seiten schnell eingescannt und dem Patienten zugeordnet. Nun kann der nächste
Schritt folgen: Austausch und Vernetzung der Daten zwischen Ärzten,
Krankenhäusern und Krankenkassen – einschließlich der Patienten selbst. Denn
Telematikinfrastruktur und ePA werden diese Daten für alle Beteiligten
transparent und effizient nutzbar machen.
Trend zu Gesundheits-Apps und Telemedizin
Neben der ePA
unterstützen auch Gesundheits-Apps für Smartwatch, Smartphone und Tablet die
Patienten in der aktiven Rolle als ihr eigener Gesundheitsmanager. Überträgt
ein Herzpatient kontinuierlich seine Vitaldaten an ein kardiologisches Zentrum,
kontaktiert ihn sofort ein Arzt, sobald die Werte sich verschlechtern, und
bittet ihn in die Praxis. In Verbindung mit Telemedizin ergeben sich
zusätzliche Möglichkeiten: Die Videosprechstunde eignet sich hervorragend, um
einerseits Patienten im ländlichen Raum besser zu versorgen. Andererseits kann
die telemedizinische Mitbetreuung beispielsweise das Leben von Herzpatienten
verlängern, so eine Studie
der Berliner Charité, für die über fünf Jahre mehr als 1.500 Patienten
telemedizinisch versorgt wurden. Die telemedizinisch betreuten Patienten
erhielten Messgeräte sowie ein Tablet, um ihren Gesundheitszustand selbst
einzuschätzen. Mittels Tablet wurden die Werte automatisch an das Zentrum für
kardiovaskuläre Telemedizin der Charité übertragen. Ärzte und Pflegekräfte
prüften die Messwerte rund um die Uhr. Bei einer Verschlechterung veränderten
sie beispielsweise die Medikation, empfahlen einen Besuch beim Arzt oder wiesen
den Patienten ins Krankenhaus ein.
Sensible Gesundheitsdaten sicher speichern
Weil Informationen über
den Gesundheitszustand zu den sensibelsten persönlichen Daten eines Menschen
gehören und zugleich für viele Interessengruppen ökonomisch wertvoll sind, hat
der sichere Umgang mit diesen Daten höchste Priorität für die Digitalisierung
des Gesundheitsbereichs. So sind für die Telematikinfrastruktur grundsätzlich
nur von gematik zertifizierte IT-Lösungen zugelassen. Genauso wichtig für den
Schutz der Daten: Wie integrieren Arztpraxen, Apotheken und Krankenhäuser diese
Lösungen in ihre vorhandenen IT-Systeme? Die Daten der elektronischen
Patientenakte werden laut gematik in Deutschland dezentral gespeichert. Sie
bleiben zunächst bei der Institution, die die jeweilige Behandlung vorgenommen
hat. Nur der Patient selbst kann sich ein umfassendes Bild von seiner kompletten
Behandlungs- und Patientenhistorie machen, die sich in der Regel aus
unterschiedlichen Untersuchungen bei unterschiedlichen Akteuren – Praxen,
Krankenhäusern, Therapeuten – zusammensetzt. Und er kann diese Akteure nach
eigenem Ermessen auf Daten zugreifen lassen oder ihnen deren Weitergabe
erlauben. Hierzulande ist für die Cybersicherheit in der Medizintechnik das Bundesamt
für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zuständig. „Die
Patientendaten dürfen nur für die jeweiligen Leistungserbringer, also für
Ärzte, Krankenhäuser, Apotheken, einsehbar sein – und auch nur so weit, wie es ihre
jeweilige Arbeit erfordert. Daher ist für die Patientenakte ein sogenanntes
Rechte- und Rollenkonzept nötig“, so der Bundesdatenschutzbeauftragte
Ulrich Kelber, der für den Schutz von Gesundheitsdaten verantwortlich
zeichnet.
Doppelt verschlüsselt hält sicherer
Wahlweise könnten Patienten ihre Daten aus ePA und Gesundheits-Apps auch in anonymisierter Form zur Verfügung stellen, um die medizinische Forschung zu unterstützen.
Oder ihre Akte so freigeben, dass die Daten nach ihrem Tod nutzbar sind. Hier sind in puncto DPE ebenfalls Transparenz und Aufklärung nötig.
Andere Länder setzen auf zentrale Lösungen: So will die israelische Regierung für 250 Millionen Euro eine Datenbank aufbauen,
in der die Gesundheitsdaten aller neun Millionen Bürger des Landes in anonymisierter Form für Forschungs- und Entwicklungszwecke zur Verfügung stehen.
Um die Sicherheit der ePA zusätzlich zu stärken, wird eine Tochter der Bundesdruckerei für alle Patientenakten Schlüssel generieren,
ergänzend zum spezifischen Schlüssel der gesetzlichen Krankenversicherungen auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK).
Digital Patient Empowerment (DPE)
Grundgedanke des Empowerments ist, Patienten medizinisches Wissen zu vermitteln, sie gezielt zu motivieren und ihre Autonomie zu stärken.
So können sie sich aktiv mit ihrer Erkrankung auseinandersetzen, sie besser bewältigen und gemeinsam mit den behandelnden
Ärzten über die individuell bestmögliche Behandlung entscheiden.
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