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ARTIKEL AUS UNSEREM POLITIKBRIEF, AUSGABE 2 | 2020

Digitalisierung als Krisenmanager und Retter aus der Rezession

Prof. Dr. Dr. Jivka Ovtcharova, Leiterin des Karlsruher Insituts für Technologie (KIT) und Direktorin des Forschungszentrums Informatik (FZI) in Karlsruhe, über die Unverzichtbarkeit digitaler Netzinfrastrukturen in Zeiten von Corona.

Eine Weltkrise, unabhängig von der Ursache – ein Finanzcrash oder eine Pandemie –, ist eine Weltwirtschaftskrise, die immer nach dem gleichen Muster abläuft, nämlich dass die wirtschaftliche Gesamtleistung zurückgeht. Die Dauer, das Ausmaß der Veränderungen sowie die Folgen der Krise für die Einzelregionen und -staaten sind jedoch sehr unterschiedlich und hängen stark von den spezifischen technologischen und sozialen Rahmenbedingungen ab. Kurz gesagt, jede Krise bringt Verlierer und Gewinner hervor.
Die Verlierer in der aktuellen Pandemie-Situation sind die globalen materiellen Wertschöpfungsketten, die aufgrund der Lieferungs- und Produktionsengpässe, verursacht durch Erkrankungen und Mobilitätseinschränkungen, zusammenbrechen. Was bedeutet das? Dort, wo materielle Werte produziert und verteilt werden, gilt noch weitgehend die physische Präsenz der Menschen vor Ort. Unabhängig davon, wie hoch der Grad der Robotisierung und Automatisierung ist, sind es heute noch die Menschen, die in die Industrieprozesse eingreifen. Aufgaben, die vollständig durch Regeln beschrieben und durch KI-Lösungen, also künstliche Intelligenz, ausgeführt werden, sind in der Industriebranche noch nicht flächendeckend umgesetzt. Gleichzeitig macht die Corona-Krise einmal mehr bewusst, dass der moderne Mensch die digitalen Netzinfrastrukturen, intelligenten Geräte, KI-Lösungen und insgesamt die immateriellen Werte für die Erfüllung seiner Bedürfnisse verstärkt benötigt. Anders als in der Analogwelt, in der wir leben und produzieren, geht es in der digitalen Welt um völlig neue Gestaltungs- und Organisationsformen.
Aus dem Internet als ursprüngliches Kommunikationswerkzeug hat sich ein digitales „Allesnetz“ (Internet of Things, IoT) entwickelt, das allgegenwärtig und uneingeschränkt den Menschen bei seinen Tätigkeiten unterstützt.

Der Gewinner ist die KI-getriebene Konnektivität, die zur Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit jedes Einzelnen wird, ob Person, Unternehmen oder Standort. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, insbesondere die KI-Branche zu fördern, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen.
In Zahlen: Im Jahr 2018 wurden weltweit 8,1 Milliarden US-Dollar an Einnahmen generiert. Bis 2025 werden es 105,8 Milliarden sein, ermittelte Daniel Mattes, Gründer von 42.cx. Das macht die KI zur größten kommerziellen Chance in der heutigen sich schnell verändernden Wirtschaft. Zu den wichtigsten Voraussetzungen für eine flächendeckende Umsetzung der KI zählen die Verfügbarkeit einer leistungsfähigen 5G-Infrastruktur, Datensouveränität, d.h. die Offenheit der Wirtschaft und Gesellschaft im kompetenten Umgang mit digitalen Daten und Geschäftsmodellen unter Einhaltung datenschutzrechtlicher Vorgaben, sowie die digitale Bildung und Befähigung, Projekte pragmatisch zu realisieren.

Bedeutung von 5G-Infrastrukturen in Krisenzeiten

Die größten Herausforderungen bei der Bewältigung einer Weltkrise wie der Corona-Pandemie sind Datentransparenz und das schnelle und adäquate Handeln. Die Transparenz baut auf die durchgängige Datenverfügbarkeit und Erstellung eines echtzeitfähigen Datenabbilds des Geschehens weltweit. Dabei hängen die Handlungsoptionen von schneller Konnektivität, Datenanalyse und Agilität ab. Die Herausforderungen sind aufgrund der enormen Dynamik, Datenintensität und -heterogenität ohne eine entsprechende 5G- und KI-Infrastruktur unmöglich. Dies haben die neuesten Erkenntnisse aus der Bekämpfung der Corona-Krise in Asien im Vergleich zu Europa und den USA bereits bestätigt. Die asiatischen Länder verfügen über sehr gut ausgebildete Echtzeit-Trackingsysteme der Infizierten und haben schnell die richtigen Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie eingeleitet.

Bedeutung von 5G für den Wohlstand

Die Kontaktbeschränkungen in Deutschland werden zu einem beispiellosen Leistungsdruck in Wirtschaft und Gesellschaft führen. Die Wissens-, Technologie- und Innovationszyklen werden noch kürzer und der Einsatz von KI und IoT im Tagesgeschäft und im Alltag wird enorm zunehmen. Stabilität und Wohlstand verpflichten zum dringenden Ausbau der 5G-Infrastruktur. Lange wurde in Deutschland konzipiert, diskutiert und geforscht. Jetzt ist es Zeit für Taten.

Denn 5G verspricht eine mindestens 100-fach höhere Geschwindigkeit als der aktuelle Long-Term-Evolution-Standard (kurz LTE), zudem minimale Reaktionszeiten, viel schneller als die des Menschen. Doch nicht nur Übertragungsrate und Latenz sind wesentliche Voraussetzungen für eine KI-Anwendung und Kommunikation in Echtzeit. Eine immer größer werdende Anzahl an miteinander vernetzten Geräten, Maschinen und Alltagsgegenständen setzt ein Netz voraus, das robust und sicher gegen Ausfälle und Angriffe ist.Die Symbiose von 5G und KI birgt enormes Potenzial für völlig neue Anwendungen und Geschäftsmodelle, vorausgesetzt, die 5G-Infrastruktur steht. Denn KI-Anwendungen hängen davon ab, dass große Datenmengen in Echtzeit übertragen und ausgewertet werden können.

Auswirkungen im Istzustand

Als das zentrale Nervensystem der Fabrik der Zukunft wird sich 5G gravierend auf die Industrie in Deutschland auswirken. Die Frage, die sich heute stellt, betrifft jedoch nicht nur die Produktionswirtschaft und ihre Wertschöpfungsketten, sondern insbesondere die rasche und benutzerfreundliche Anwendung in der Fläche wie z.B. im Gesundheitswesen, in der Land- und in der Energiewirtschaft sowie im verarbeitenden Gewerbe.

Auch die Mehrheit der Bevölkerung kann nicht mehr auf die Digitalisierung im Alltag verzichten, ob es sich um Smartphones, Streaming-Dienste oder das Smart Home handelt. Es geht dabei stark um Individualisierung und digitale Personalisierung. Insbesondere für die Generationen XYZ ist eine andere Zukunft ohne das „digitale Ich“, unseren Zwilling im Netz, nicht vorstellbar. Die digitale Personalisierung birgt enormes Potenzial für die Bildung und Qualifikation. Neue Kompetenzen und Fähigkeiten für und durch die Digitalisierung werden zur Voraussetzung für die Wettbewerbsfähigkeit jedes Einzelnen, jeder Person, jedes Unternehmens. Die Digitalisierung wirkt sich zudem auch auf unser kulturelles Miteinander aus. Doch bei der Umsetzung hinken Deutschland und Europa hinterher. Es wird durch die Medien in der breiten Gesellschaft der Eindruck erweckt, dass wir kurz davor sind, 5G flächendeckend wettbewerbsorientiert einzusetzen und damit unsere produktionsorientierte Wirtschaft nachhaltig zu revolutionieren. Die Praxis aber zeigt, dass eine dezentralisierte Fertigung von individualisierten Produkten, Smart-City-Konzepten wie intelligenter Ampelschaltung oder KI-Analysen der Verkehrsbewegungen, erst dann möglich wäre, wenn diese mutig umgesetzt und ausprobiert werden.

Aktuelle europäische 5G-Projekte

In den letzten fünf Jahren wurden in Deutschland sowie auf EU-Ebene zahlreiche 5G-Initiativen und -Projekte gestartet, mit starker Fokussierung auf Industrie 4.0 und das Internet der Dinge (IoT). So investiert die Europäische Kommission 2020 über das Programm Horizont 700 Millionen Euro in die 5GForschungs- und Innovationsförderung.

EU-Projekte wie METIS (Mobile and Wireless Communications Enablers for the Twenty-twenty Information Society), 5G NORMA (5G Novel Radio Multiservice adaptive network Architecture D) sowie 5G-MoNArch (5G Mobile Network Architecture for diverse services, use cases, and applications in 5G and beyond) haben sich mit den grundsätzlichen Anforderungen an den neuen Mobilfunkstandard und die technischen Grundstrukturen befasst. Aktuell bringt sich die 5G-ACIA-Initiative aktiv in die Standardisierung und Regulierung von 5G weltweit mit ein.

In der Initiative haben sich sowohl Vertreter der klassischen Automatisierungs- und Fertigungsindustrie als auch führende Organisationen aus dem Bereich der IKT-Industrie und -Forschung zusammengeschlossen. Die ACIA zählt bereits 26 Mitglieder: Beckhoff, Bosch, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), Deutsche Telekom, Endress+Hauser, Ericsson, Festo, Fraunhofer Gesellschaft, Harting, Hirschmann Automation & Control, Huawei, Infineon, Institut für industrielle Informationstechnik (inIT), Institut für Automation und Kommunikation e. V. (ifak), Intel, Mitsubishi, Nokia, NXP, Pepperl+Fuchs, Phoenix Contact, R3 – Reliable Realtime Radio Communications, Siemens, Trumpf, Vodafone, Weidmüller und Yokogawa.

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Mehr über Professorin Dr. Dr. Jivka Ovtcharova

Prof. Dr. Dr.-Ing. Dr. h. c. Jivka Ovtcharova wurde 2003 als erste Professorin der Fakultät für Maschinenbau und Leiterin des Instituts für Informationsmanagement im Ingenieurwesen an das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) berufen. Seit 2004 ist sie auch als erste Direktorin im Forschungszentrum Informatik (FZI) in Karlsruhe tätig. Die gebürtige Bulgarin studierte Maschinenbau und Automatisierung in Sofia und Moskau und arbeitete an der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften, für die Fraunhofer Gesellschaft und in der Automobilindustrie am inspirierenden Zusammenspiel von Ingenieurwesen und Informatik.

Mit den Schwerpunkten ihres Instituts trägt Prof. Dr. Dr. Ovtcharova entscheidend dazu bei, traditionelle Ingenieurarbeit auf Basis moderner Technologien wie virtuelle Realität und künstliche Intelligenz faszinierend und erlebbar zu machen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht der Resourceful Human und seine Rolle bei der umfassenden digitalen Transformation von Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft. Prof. Dr. Dr. Ovtcharova ist Gründerin mehrerer Zentren und Labore am KIT, etwa des Lifecycle Engineering Solutions Center (LESC) sowie des Industrie 4.0 Collaboration Labs. Ihre neuesten Unternehmungen sind das Center for Artificial Intelligence Talents (CAIT) sowie die Stiftung dbq, Gesellschaft für Digitalisierung, Bildung und Qualifikation.

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