Prof. Dr. Hans Dieter Schotten vom Lehrstuhl für Funkkommunikation und Navigation an der Technischen Universität Kaiserslautern über das Potenzial von 5G und die Rolle des deutschen Mittelstands.
Als in den Jahren 2012 und 2013 der grundlegende Fahrplan und die strategische Positionierung eines möglichen 5G-Mobilfunkkonzepts diskutiert wurden, war schnell klar, dass nicht nur neue Technologien oder neue Dienste 5G definieren werden, sondern insbesondere neue Anwendungsfelder, neue Nutzergruppen und damit auch potenzielle neue Einnahmequellen.
Die Idee bestand darin, dass 5G die immensen Forschungsaufwendungen im Mobilfunk und die hinter dem Mobilfunk stehenden weltweiten Standardisierungsbemühungen auch für andere Branchen, die mobile Dienste benötigen, nutzbar machen soll. Bahnfunk, Behördenfunk, drahtlose Kommunikation in der Produktion und Fahrzeug-Fahrzeug- bzw. Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation waren nur einige der Branchen, in denen Entscheidungen über die Weiterentwicklung von Funkkommunikationslösungen anstanden. Somit lag es nahe, diese Möglichkeit aufzugreifen und ein Angebot zu entwickeln.
5G: Wie positioniert sich Deutschland?
„In der zweiten 5G-Welle wird Deutschland eine zentrale Rolle spielen.“
In der ersten 5G-Welle, in der es hauptsächlich um die Unterstützung hoher Datenraten geht, wird Deutschland noch nicht zu den bedeutenden Playern gehören. Leitmärkte sind hier Asien und teilweise die USA. In der zweiten 5G-Welle aber wird Deutschland eine zentrale Rolle spielen. Denn hier geht es um die Versorgung der sogenannten vertikalen Industrien – Stichworte Automotive, Automatisierung –, die in Deutschland sehr stark vertreten sind.
5G ist nicht einfach nur die nächste Mobilfunkgeneration
5G unterscheidet sich in seinen Möglichkeiten erheblich von bisherigen Mobilfunktechniken. So soll das Netz nicht nur Dienste wie Telefonie oder Internetzugang mit einem Fokus auf Verbraucherbedürfnisse anbieten. Vielmehr wird 5G von Anfang an mit dem Ziel entwickelt, auch und insbesondere spezielle Anforderungen der vertikalen Industrien zu erfüllen. Branchen, die hierbei zurzeit im Mittelpunkt des Interesses stehen, sind zum Beispiel die Automobilindustrie und das vernetzte Fahren, die Automatisierung in Produktion und Infrastruktur, Logistik und Transport sowie das Gesundheitswesen. Für diese und andere Branchen soll mit 5G die Grundlage für neue mobile und vernetzte Dienste, für Effizienzsteigerungen vieler Prozesse und für eine Kopplung von Produkten und Dienstleistungen geschaffen werden.
Hieraus ergeben sich neue Anforderungen an den Mobilfunk. So werden mit 5G unter anderem Verfügbarkeit und Zuverlässigkeit, ebenso wie die Latenz der Datenübertragung deutlich verbessert.
Network Slicing als Schlüssel für vertikale Industrien
Ein zentrales neues Konzept ist das sogenannte Network Slicing, mit dem in 5G-Netzen eine Art virtuelles privates Netz für Anwender zur Verfügung gestellt werden kann. Network Slicing ermöglicht es der Industrie, verschiedene Dienste, beispielsweise in Bezug auf Konfiguration, Wartung oder Optimierung, anyubieten, die direkt mit ihren Produkten gekoppelt werden können.
Auch durch die Option sogenannter privater 5G-Netze, die sich über Network Slicing oder auf der Basis eigener Infrastruktur realisieren lassen, erhält die Industrie die Chance, 5G-Kommunikationslösungen als Bestandteil ihrer Produkte oder aber in der eigenen Produktion optimal einzusetzen. Damit werden Innovationspotenziale geschaffen, mit deren Erschließung einige Unternehmen bereits begonnen haben. 5G ist also der Motor, um die Digitalisierung in der Industrie voranzutreiben und Freiräume für neue Ideen zu schaffen.
Mit 5G und AR gegen den Fachkräftemangel
Ein zurzeit viel diskutiertes Beispiel sind Anwendungen, die Augmented Reality (AR) nutzen. Diese Technologie wird durch die Kombination von niedriger Latenz und hohen Datenraten, die 5G ermöglicht, realisierbar. In AR-Anwendungen bekommen etwa Wartungstechniker in Abhängigkeit davon, wo sich befinden und was sie gerade betrachten, Zusatzinformationen in die AR-Brille eingeblendet. Diese Informationen können entweder automatisch generiert werden oder ein Experte, der sich woanders aufhält, stellt sie zur Verfügung. Auf diese Weise wird dem Mitarbeiter so zum Beispiel gezeigt, welche Teile er in einer Maschine abschrauben oder anbringen muss. Da Wartungstechniker hierdurch vielseitiger eingesetzt werden und trotzdem auf die nötige Kompetenz zugreifen können, wird diese Technik auch dazu beitragen, den Fachkräftemangel zu entschärfen.
Mittelstand muss Potenziale richtig nutzen
Die vertikale Industrie muss die Potenziale von 5G und Konzepten wie Network Slicing und privaten Netzen erkennen. Zudem muss sie Wege finden, die Technologie in ihre Produkte und Prozesse zu integrieren. Für die großen Unternehmen wird dies im Rahmen von bilateralen Diskussionen mit den Mobilfunkanbietern stattfinden.
„Wie stellen wir sicher, dass auch der deutsche Mittelstand das 5G-Potenzial nutzen kann?“
Hierfür sind aus meiner Sicht Initiativen nötig, die es den mittelständischen Unternehmen erlauben, 5G in ihren Anwendungen auszuprobieren. Ebenso muss Klarheit über die diesbezüglichen Angebote der Netzwerkbetreiber geschaffen werden. Die regulatorischen Randbedingungen und die Kostenstrukturen müssen sich auch dem Laien erschließen; die Angebote sollten sinnvoll vergleichbar und transparent sein. Die Sorge des Anwenders, etwas zu integrieren, was er nicht ganz verstanden hat, und für etwas zu bezahlen, was er nicht wirklich braucht, könnte sonst die Akzeptanz von 5G in vertikalen Industrien gefährden. Hier gibt es sicher noch Handlungsbedarf, der schon damit beginnt, eine einheitliche und von allen Marktteilnehmern akzeptierte Begrifflichkeit zu schaffen.
Verfügbarkeit und Versorgung in Einklang bringen
Der zweite Handlungsbereich betrifft die regulatorische Seite.
Derzeit wird postuliert, dass 5G die grundlegende Infrastruktur für die Vernetzung in Unternehmen, aber auch für Gesundheitsdienste, vernetztes Fahren, E-Government und andere für die Bürger relevante Bereiche sein wird. Das hat zur Folge, dass die Versorgungsauflagen bei der Vergabe des 5G-Spektrums über elementare Partizipationsmöglichkeiten für Bürger und über die Standortwahl von Unternehmen entscheiden werden.
Nicht alles, was wünschenswert ist, lässt sich auch finanzieren. Daher sollten im offenen Dialog mit den Netzwerkbetreibern intelligente Kompromisse gesucht werden, um am Ende die angestrebte Versorgung auch wirtschaftlich nachhaltig sicherzustellen. Die sogenannten privaten Netze bieten eine möglicherweise attraktive Option, wenn es darum geht, die Herausforderungen in Bezug auf die 5G-Verfügbarkeit und -Versorgung zumindest teilweise zu entschärfen. Sie erlauben es der vertikalen Industrie, für interne – private – Dienste eigene 5G-Netze in separaten Spektren aufzubauen, die lokal vergeben werden. Damit können sie das technologische Potenzial von 5G in vollem Umfang nutzen und dabei nach eigenen Bedürfnissen über den Ausbauumfang, die Kapazität und insbesondere den Zeitplan entscheiden.
So wird 5G für den Mittelstand attraktiv
Die Möglichkeit, einen Teil des 5G-Spektrums im 3,5-GHz-Band hierfür zur Verfügung zu stellen, ist Gegenstand aktueller Diskussionen. Damit könnte die deutsche Industrie einen erheblichen Vorteil bei der Integration und der Nutzung des 5G-Potenzials erlangen. Hiervon profitieren sollten allerdings nicht nur die großen Unternehmen, die über eigene IT-Abteilungen verfügen und sich somit auch am Aufbau oder zumindest am Management eines 5G-Netzes beteiligen können.